Dieses post habe ich in dem Parallelthread "Waldorfschulen" begonnen, setz es aber hier fort, weil sr mir hier mehr reinzupassen scheint. Der Anfang ist hier:
Waldorf-Thread
Die Fortsetzung ist hier >>>
Aber wenn man akzeptiert, dass es Pädagogiken gibt, die auf unterschiedlichen Weltsichten beruhen, muss ein anderer Maßstab gefunden werden.
Wo könnte dieser Maßstab liegen?
Viele Eltern schicken ihre Kinder auf eine Waldorfschule, weil ihr Kind auf der Staatsschule nicht zurecht kommt. Und zwar darum nicht zurecht kommt, weil dort der Leistungsgedanke dominiert. Die Waldorfschulen haben als ihr Konzept, das Kind ganzheitlich zu entwickeln, auch künstlerisch zu entwickeln. Es gibt keine Zensuren, stattdessen Beschreibungen der Entwicklung des Kindes.
Es wird nicht allein auf die Rationalität gesetzt, sondern die Sprache zum Beispiel lebendig erlebbar gemacht. Ziel ist dabei, vieles, was im Menschen durch unsere verkopfte Gesellschaft verschütt gegangen ist, wieder bewusst zu machen.
Ich denke, das Ziel dieses Pädagogik ist für viele Eltern faszinierend; auch darum, weil sich die Lehrkräfte in ganz anderer Weise um das Kind kümmern. In den Staatsschulen findet keine wirkiche pädagogische Betreuung statt, die Staatsschulen dienen im Prinzip rein der Wissensvermittlung. Jedenfalls ab fünfte Klasse, in den Grundschulen weiß ich nicht.
Wenn ich also Wert oder Unwert der Steiner-Schulen beurteilen möchte - und nicht nur darum ablehne, weil sie nicht streng bibelchristlich sind -, muss ich, denke ich, den Maßstab so setzen, dass ich Absicht und Realität miteinander vergleiche. An der Beobachtung der Realität überprüfe, ob a. die Absicht durchgeführt wird, b. ob sich an der Realität erkennen lässt, ob die Absicht die ist, die man erwartet hat.
Das Studium der Philosophie Steiners kann meines Erachtens nicht zu einer erschöpfenden Beurteilung der Waldorfpädagogik kommen, weil die praktische Pädagogik, also die konkret in den Schulen verwirklichte, vermutlich nirgendwo geschrieben steht.
Vieles an den Gedanken Steiners ist revolutionär und für unsere verkopfte Gesellschaft wohltuend. Aber ich habe nicht alles von ihm gelesen, sodass ich nicht sämtliche Winkel kenne.
Noch weniger kenne ich die Praxis in den Waldorf-Einrichtungen, aber ich kenne sie auch nicht gar nicht

; ich weiß ein bisschen davon aus zweiter Hand, weil mir nahestehende Freunde damit zu tun hatten oder noch haben.
Dann leg ich also mal los. Eine Freundin (damals so um die 25), die ein Kunstseminar - über ein oder zwei Jahre - in einer anthroposophischen Kunstschule absolvierte, war nach einer Zeit so mit den Nerven fertig, dass ich ihr per Telefon Direktiven gab, NICHT zu gehorchen, sondern das zu tun, was ihr Kunstwille ihr eingab. Irgendwie wollten die Lehrer von meiner Freundin, dass sie eine bestimmte Art von Ausdruck hinkriegt, und weil sie das nicht schaffte, bekam sie irgendwie immer die Anweisung, sie müsse etwas in ihrer Psyche ändern. Ich bin damals an die Decke gegangen.
Tatsächlich Ähnliches erlebte ich viele Zeit später, wo ein Kind erst mal von der Mutter in den Waldorfkindergarten geschickt wurde. Dieses Kind war sehr eigenwillig, nicht leicht anpassbar, und die Mutter wurde dann öfter in die Schule zitiert (der Kindergarten war auf dem Schulgelände), was man mit dem Kind "machen" könne. Einmal war es Linkshänder, das wollte man als erstes umpolen. Und dann drohte man dem Kind, es müsse "ins Haus Mignon", damit es dort besser gelenkt werden könne. Was "Haus Mignon" ist, weiß ich nicht aus eigener Anschauung, ich weiß nur, wie das bei der Mutter ankam: ihr Kind sei geistig behindert und müsse betreut werden.
Ich habe mich damls unglaublich ins Zeug geschmissen, um a. zu verhindern, dass man die Linkshändigkeit umpolt (man weiß heute, dass dies seelischen Schaden anrichtet), b.das Kind als geistig behindert erklärt. Ich wusste, dass es ein hochbegabtes Kind war, darum sicherlich auch schwierig, aber doch kein Grund, es einer Sonderbehandlung zu unterwerfen.
Das Kind wurde dann wohl auch von anthroposophischen Ärzten untersucht (der "Geisteszustand", weil es eben so eigenwillig war). Ich habe vor allem auf die Mutter (alleinerziehend) wie ein Buch eingerdet, die Umpolung der Linkshändigkeit zu verweigern, und vor allem ihr Kind von einem normalen Arzt untersuchen zu lassen. Das Kidn war in meinen Augen ja völlig gesund, nur halt sehr wissbegierig und mit einem starken Willen ausgestattet.
Ausgegangen ist alles gut. Die Umpolung wurde nicht gemacht - das Kind selber durfte schließlich wählen und wollte Linkshänder bleiben -, und der "normale Arzt" stellte, was ich ohnehin schon wusste, Hochbegabung fest. Das Kind musste nicht ins Haus Mignon, es machte dann die ersten vier Jahre auf der Waldorfschule, wollte dann aber, zum Kummer der Mutter, von dort fort auf ein Gymnasium.
Fairerweise muss ich sagen, dass auch das Gymnasium der falsche Platz für dieses Kind ist. Aber jedenfalls wird dort nicht in seiner Psyche rumgematscht. Eine Förderung der emotionalen und seelischen Bedürfnisse gibt es nicht auf den Staatschulen. Aber mir ist das nun doch lieber als Schulen, die versuchen, auf die Psyche Einfluss zu nehmen.
Das Konzept, das dahinter stand, das Kind zu ändern, ist mir nie deutlich geworden. Aber seitdem bin ich wachsam und vor allem hellhörig geworden.